Der Fall: Veräußerungsfreibetrag bei Betriebsaufgabe – wann ist er tatsächlich verbraucht?
Ein Unternehmer, der seinen Betrieb im Jahr 2019 aufgab, beantragte in seiner Einkommensteuererklärung den Veräußerungsfreibetrag (§§ 18 Abs. 3, 16 Abs. 4 EStG). Dieser Freibetrag ermöglicht es, Veräußerungsgewinne bis zu einer Höhe von 45.000 € steuerfrei zu stellen, wenn der Steuerpflichtige das 55. Lebensjahr vollendet hat oder dauernd berufsunfähig ist. Das Finanzamt lehnte den Antrag mit der Begründung ab, dass der Freibetrag bereits im Jahr 2011 bei der Veräußerung einer Beteiligung an einer GmbH & Co. KG in Anspruch genommen worden sei und daher für 2019 nicht mehr zur Verfügung stehe.
Im Jahr 2011 hatte das Finanzamt nämlich den Freibetrag ohne Antrag des Steuerpflichtigen berücksichtigt und den daraus resultierenden Gewinn steuerfrei gestellt. Der Steuerpflichtige erhielt jedoch im Steuerbescheid keinen eindeutigen Hinweis auf die Gewährung des Freibetrags oder dessen Auswirkungen. Da er die steuerliche Auswirkung des Freibetrags nicht erkannte, legte er keinen Einspruch gegen den Bescheid ein. Erst im Jahr 2019, als er den Freibetrag erneut beantragte, stellte das Finanzamt fest, dass der Freibetrag bereits ausgeschöpft war.
Das Urteil: FG bejaht Treu und Glauben und gewährt den Freibetrag erneut
Das Finanzgericht Köln entschied zugunsten des Steuerpflichtigen und widersprach der Auffassung des Finanzamtes (FG Köln, Urt. v. 20.03.2024, Az. 9 K 926/22, rkr.). Das Gericht stellte fest, dass der Unternehmer den Verbrauch des Freibetrags im Jahr 2011 nicht erkennen musste. Weder der Steuerbescheid noch die dazugehörigen Unterlagen enthielten ausreichende Hinweise darauf und die damit verbundene Verbrauchswirkung des Freibetrags. Der Unternehmer sei auch nicht verpflichtet gewesen, den Bescheid auf eine solche komplexe steuerliche Auswirkung hin zu überprüfen, zumal die steuerliche Auswirkung im Jahr 2011 nur geringfügig gewesen sei und keinen Anlass zur Annahme einer Verbrauchswirkung gegeben habe.